Die Welt der juristischen Recherche erlebt einen bahnbrechenden Fortschritt: OpenAI hat seine API um Funktionen für tiefgehende Recherchen erweitert. Für Legal-Tech-Startups, Kanzleien und Inhouse-Juristen eröffnet sich damit ein neues Kapitel in der digitalen Rechtsanwendung. In diesem Blogbeitrag erklären wir, was diese Neuerung bedeutet, wie sie funktioniert – und warum sich gerade die Rechtsbranche jetzt intensiv damit beschäftigen sollte.

Datenflut im Griff: Deep Research im Praxiseinsatz

Die neue Recherchefunktion erlaubt es, komplexe Informationen aus umfangreichen Dokumentensammlungen, internen Wissensdatenbanken oder juristischen Fachtexten automatisiert zu durchsuchen, zu extrahieren und aufzubereiten – auf Knopfdruck. Dabei geht es nicht nur um das klassische Durchsuchen nach Schlagwörtern, sondern um echte semantische Analyse:

  • Kontextbasiertes Verstehen von rechtlichen Zusammenhängen
  • Extraktion relevanter Passagen aus Urteilen, Kommentaren oder Richtlinien
  • Antwortgenerierung auf spezifische Rechtsfragen unter Berücksichtigung umfangreicher Quellen

Die OpenAI API durchsucht dabei nicht einfach nur nach Keywords, sondern analysiert ganze Textzusammenhänge und versteht juristische Sprache kontextbezogen – ein echter Fortschritt gegenüber bisherigen Legal-Tech-Lösungen.

Quellenanbindung in der Praxis: So funktioniert es technisch

Die Funktion basiert auf dem neuen file_search-Modul in der OpenAI API. Damit lassen sich externe Datenquellen wie Google Drive, OneDrive, Slack oder SharePoint anbinden. Entwickler oder Nutzer der ChatGPT-Pro-Version können daraufhin gezielt Fragen stellen – z. B. „Welche Haftungsausschlüsse enthält mein Entwurf der AGB?“ – und erhalten präzise Antworten aus dem verbundenen Material.

Für die Nutzung in ChatGPT selbst (Pro-Version) genügt es, das Gedächtnis zu aktivieren und relevante Dateien hochzuladen oder Konten zu verknüpfen. ChatGPT durchsucht die Inhalte semantisch und bezieht sich in seinen Antworten direkt auf die Dokumente – inklusive Zitaten und Quellenhinweisen.

Datenschutz & Compliance

Gerade im juristischen Kontext gelten besonders hohe Anforderungen an Vertraulichkeit und Datenschutz. Deshalb sollten Kanzleien und Rechtsabteilungen vor dem produktiven Einsatz prüfen, ob

  • eine Vertraulichkeitsvereinbarung (NDA) mit OpenAI oder einem API-Partner besteht, und
  • der Einsatz mit den berufsrechtlichen Verschwiegenheitspflichten vereinbar ist.

OpenAI bietet zwar Funktionen, um sensible Daten technisch sicher zu verarbeiten – etwa durch API-Nutzung ohne Trainingsintegration oder granulare Zugriffskontrollen. Dennoch bleibt die rechtliche Verantwortung beim Nutzer. Gerade bei Mandatsbezug, personenbezogenen Daten oder internen Rechtsfragen ist Vorsicht geboten.

Empfehlung: Eine datenschutzrechtliche und berufsrechtliche Vorprüfung sowie ggf. eine Anpassung interner KI-Richtlinien sind unerlässlich.

Koexistenz statt Ablösung: Was ein DMS leistet, was Deep Research hinzufügt

Die neue Tiefensuche wirft eine berechtigte Frage auf: Braucht man noch spezialisierte Legal-Tech-DMS-Systeme, wenn ChatGPT und OpenAI nun Dokumente semantisch durchsuchen und zitieren können?

Die kurze Antwort: Nein, diese Systeme werden dadurch nicht obsolet – im Gegenteil.

Zwar revolutioniert die API juristische Rechercheprozesse, doch viele klassische Stärken von Dokumentenmanagementsystemen bleiben bestehen – etwa strukturierte Aktenorganisation, Versionierung, Zugriffssteuerung, Metadatenmanagement und Workflows. Hinzu kommen berufsrechtliche Anforderungen an Datensicherheit, Hostingstandorte und Nachvollziehbarkeit, die viele DMS-Anbieter heute gezielt erfüllen.

Die neue OpenAI-Funktion kann und sollte vielmehr als intelligentes Recherchemodul in bestehende Systeme integriert werden. So entsteht das Beste aus beiden Welten: Juristische Tiefe und semantisches Verstehen kombiniert mit organisatorischer Struktur und regulatorischer Sicherheit.

Fazit

Die neue Recherchefunktion der OpenAI API bietet interessante Möglichkeiten für den juristischen Arbeitsalltag – insbesondere, wenn es darum geht, schnell einen Überblick über umfangreiche Dokumentensammlungen zu gewinnen oder gezielt einzelne Aspekte herauszufiltern. Für viele Anwendungen kann sie eine sinnvolle Ergänzung sein – nicht als Ersatz für bestehende DMS-Strukturen oder Legal-Tech-Systeme, sondern als Erweiterung, die das Potenzial hat, Arbeitsprozesse effizienter zu gestalten. Ein weiterer Vorteil: In ChatGPT lassen sich auf dieser Basis eigene Custom GPTs erstellen, die gezielt auf juristische Aufgaben, Mandatstypen oder interne Wissenssammlungen zugeschnitten sind. Diese individuell konfigurierten Assistenten können z. B. mit bestimmten Dokumentensammlungen verknüpft, mit Prompts „trainiert“ und dann im Team oder in der Kanzlei einfach geteilt werden – etwa für Recherche, Vertragsanalyse oder die Vorbereitung von Schriftsätzen. Gerade in Kombination mit der neuen file_search-Funktion entstehen damit praxisnahe Werkzeuge, die juristische Recherche nicht nur beschleunigen, sondern auch teamfähig und reproduzierbar machen. Gleichzeitig bleiben zentrale Anforderungen wie Datenschutz, rechtliche Rahmenbedingungen und strukturierte Mandatsverwaltung bestehen – hier sind spezialisierte Lösungen weiterhin unerlässlich. Wer diese neuen Möglichkeiten verantwortungsvoll integriert, kann konkreten Mehrwert für die tägliche juristische Arbeit schaffen – ohne bewährte Standards aufzugeben.


Daina arbeitet als Legal Tech Engineer bei einer Großkanzlei in Düsseldorf. Ihre Begeisterung für Legal Tech vertiefte sie während ihres LL.M.-Studiums, das ihr fundiertes Wissen über die Schnittstelle von Recht und Technologie erweiterte. Zusätzlich engagiert sie sich als stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Legal Tech Labs und teilt ihr Fachwissen regelmäßig durch Blogbeiträge.